Ungarn 2012

In der EU-Mitgliedschaft liegt nicht immer das Heil

Seit genau 25 Jahren bereise ich regelmäßig Ungarn, und zwar überwiegend den eigentlich wohlhabenderen Westen.
Im Sozialismus, den man ja auch Gulasch-Kommunismus nannte, war zu erleben, dass Landwirtschaft und Gastronomie nahezu privatisiert waren und den Menschen zu einem bescheidenen Wohlstand verhalfen.

Dann kam die Wende unter verantwortungsvollen Politikern Ungarn, die nicht wenig dazu beigetragen haben, dass es überhaupt die Wende gab.

Man strebte die EU-Mitgliedschaft an und bekam sie auch. Heute wäre der Normalbürger sie gerne wieder los.

Mit dieser Mitgliedschaft kamen die Hyänen ins Land, es wurde auf Teufel komm‘ raus privatisiert, die großen Konzerne nahmen sich die Filetstücke heraus, verdienten viel Geld und ließen Reste und Zerstörtes zurück.
Das Volk nahm nicht am Aufschwung teil, es waren wie überall die Gierigen der Oberschicht, die auch in Ungarn satt, dick und fett sind. Was es noch zu verteilen gab, riss sich Orban, der einstige Hoffnungsträger, mit seinen Kumpanen unter den Nagel.

Die Menschen verdienen im Durchschnitt Gehälter zwischen 250 und 400 Euro. Die Preise für Grundnahrungsmittel und zum Leben Notwendiges wie öffentliche Verkehrsmittel und Porto übersteigen die von Österreich und Deutschland. Die Arbeitslosigkeit ist groß.
Das Porto in Ungarn beträgt das Zweieinhalbfache dessen, was in Deutschland verlangt wird. Eine Busfahrt hat das Preisniveau wie in Deutschland. Früher kauften die Wiener und Burgenländern in Ungarn ein, heute fahren die Ungarn schon für Butter nach Österreich.

Der Mittelstand ist nahezu vernichtet. Traditionsfirmen und -gasthäuser, die über Generationen gut lebten – selbst im Sozialismus – schließen in einer Art Massenbewegung.

Für Touristen ist das Land zwar immer noch schön, die Menschen sind immer noch außergewöhnlich liebenswürdig, aber eine Reise nach Ungarn ist preislich nicht mehr attraktiv. Die Gastronomie ist nur noch geringfügig preiswerter, die Unterkünfte sind noch für gute Preise zu haben, es lohnt sich kaum noch,Dinge für zu Hause zu kaufen.

Nachdem ich zutiefst schockiert die Entwicklungen registriert habe, suchte ich das Gespräch mit einer breiten Schicht von Menschen.
Nicht ein einziger war darunter, der die EU-Mitgliedschaft des Landes positiv sieht, viele waren dabei, die sich schämten, Orban gewählt zu haben und sehr viele meinten, der Sozialismus würde sofort wieder akzeptiert.
Viele Ungarn schämen sich auch deshalb für Orban, weil die Sinti und Roma in ihrem Land noch stärker verfolgt werden als in Frankreich.
Orban wird heute als rechtslastiger Politiker gesehen, was ja wohl auch objektiv stimmt.

Interessant ist auch der Fall Aijka in Westungarn. Die meisten Menschen werden sich erinnern an die Giftschlammkatastrophe von 2010.
Man nimmt doch an, dass auch die EU sich kümmert. Pustekuchen, weder EU noch ungarische Regierung sind interessiert daran. Die Menschen werden in ihrem Elend und der finanziellen Katastrophe allein gelassen.

Die Solidargemeinschaft wird ernst genommen, wenn es um die Rettung notleidender Banken (Unwort des Jahres 2009 und leider im Sprachgebrauch verankert, obwohl Perversion in sich) geht, nicht aber wenn es um die Menschen Europas geht.
Daher fürchtet man Volksabstimmungen auch so sehr!

Ich bin weit davon entfernt, Europa in Frage zu stellen. Aber vieles darf nicht so weiter gehen.
Dazu gehören der extreme Lobbyismus und das Alleinlassen der Menschen, vor allem in den Ländern, denen wir unmenschliche Sparleistungen abverlangen.

Europa muss seine Menschen mitnehmen, sonst wird es eines Tages an der sozialen Frage zerbrechen.

Mich wundert doch nur, wie wenige von Europa benachteiligte Menschen auf die Straße gehen. Ein jeder von ihnen hätte meine Unterstützung!

Europa muss Wohlstand für alle, nicht nur für Banker und Oberbonzen, bringen!

Denken wir um!!

Nachtrag zu „Ungarn im Jahre 2012“ verfasst nach einer Reise in das schöne Land im September 2017

Vieles, das ich vor fünf Jahres verfasst habe, stimmt immer noch. Insbesondere sind die Einkommen der Menschen so gut wie nicht gestiegen. Auffällig ist auch, dass die Schere zwischen reich und arm auch dort immer mehr auseinander geht.

Seit jeher besitzen die Ungarn fast alle Wohneigentum. 91 % sind es derzeit, die keine Miete zahlen müssen. Im Vergleich : Deutschland hat nur knapp 50 % Wohnungs- und Hausbesitzer. Die kommunalen Abgaben für ein durchschnittliches Haus mit einem durchschnittlichen Grundstück (das erheblich größer ist als deutsche Hausgrundstücke) betragen aufs Jahr (!) 25 Euro.

Die Gastronomie hat sich wieder gefangen; in den letzten fünf Jahren haben unzählige Cszardas und Vendöglös (Gaststätten) neu eröffnet. Die Preise staffeln sich nach der Lage der Gasthäuser. Im belebten Westen von Sopron bis zum Balaton und von Heviz bis zur slowenischen Grenze entspricht das Niveau in etwa dem Deutschen. Getränke sind grundsätzlich preiswerter als in Österreich oder Deutschland.

Im ganz ländlichen Ungarn, Richtung rumänische Grenze oder in Puszta-Nähe gibt es so gut wie keinen Tourismus, die Einnahmen der Menschen sind entsprechend geringer. Man überlebt meist mit Hilfe eigenen Gartenbaus oder eigener Landwirtschaft. Davon zeugen auch die vielen Marktstände in den Dörfern vor den Häusern der Menschen.

In diesen Landstrichen sind Lebensmittel und Essen extrem günstig. Man bekommt einen Espresso für 80 Cent, einen Aprikosenschnaps für 50 – 90 Cent, ein dreigängiges Essen für rund 14 Euro. Ungarn hat eingeführt, dass die Menschen freiwillig für einen Euro die Stunde ihre Orte verschönern können.
Fazit: Ungarn ist im ganzen Land wie geleckt! Es ist voller Blumen, voller Dekorationen, es ist einfach schön und Deutschland und Österreich können sich nicht im Entferntesten damit messen.

Die Gräben vor den Häusern wurden jetzt im September gesäubert, damit Hochwasser im Herbst keine Chance hat. Die Tierliebe ist messbar gestiegen.Die ungarischen Menschen wirken gepflegt. Vor allem fällt es angenehm auf, dass es ganz wenig tätowierte Leute gibt. Die Jugend macht einen Eindruck, der so positiv ist, dass auch hier die Länder Österreich und Deutschland nicht mithalten können.

In einer einzigen Sache sind wir mit Orban einig: Als wir in Ungarn waren, am 16.09.17, ist die EU-Verordnung „gegen invasive Pflanzen und Tiere“ in Kraft getreten. Von Ungarn verlangt die EU verrückterweise die Fällung aller Akazien, weil die aus Kanada stammen und andere Bäume „unterdrücken“. Ungarn besitzt hunderttausende dieser Bäume, teils weit über 100 Jahre alt. Der Mai ist in dem Land geprägt vom Weiß der Akazienblüten und vom roten Mohn. Die Puszta ohne Akazien, unvorstellbar. Die Bauern ohne Akazienhonig, unvorstellbar. Die Verordnung setzt den Bienen, den Bauern, der gesamten Natur zu. Hier m u s s Orban sich wehren.

Wir kämpfen gegen die Verordnung, der jetzt in unserer Nähe, in Bad Münstereifel, eine achtköpfige Nutria-Familie zum Opfer fallen soll. Die dunklen Eichhörnchen sollen bejagt und ausgerottet werden, die Waschbären ebenso, manche Insekten und Lurche, viele Bäume und Pflanzen. Dahinter steht die europäische und besonders die deutsche Jägerlobby. Am Tag nach dem zweifelhaften, dummen und unsinnigen Beschluss verlangten die Deutschen Jäger in ihren Vereinigungen horrende Summen vom Steuerzahler, um die Tötungen auszuführen. Herrschaften, für Euch 0,4 % der Bevölkerung zahlen wir das nicht! Wie viel Flintenweiber werden da wohl wieder unterwegs sein, diesmal ganz primitiv mit gutem Gewissen?
Ungarn, wehre Dich beim EUHG für den Schutz Deiner Akazien und Deiner Tiere!Petitionen werden wir unterstützen.

Wir sind wie immer auf der Rückfahrt im Burgenland gewesen, gemütlich wie immer, reich an Erträgen des Landes wie in Ungarn, denn der Sommer weiß heiß und ließ Melonen, Kürbisse und Paprika gedeihen wie seit Jahren nicht mehr.

Vom Burgenland ging es fünf Tage nach Wien, immer wieder schön und gemütlich, den Menschenschlag mögen wir sehr. Die öffentlichen Verkehrsmittel kosten sage und schreibe alle zusammen 16,20 Euro die Woche, so günstig wie in keiner europäischen Hauptstadt in Europa, die eine U-Bahn hat! Wien ist für eine Millionenstadt sehr sauber, macht Kampagnen, die intelligent und witzig sind für die Sauberkeit der Stadt. Aber es fällt dann auf, dass wieder ein hoher Prozentsatz der Menschen, vor allem die jungen Leute, herumlaufen wie Bilderbücher. Wir finden die unmäßigen Tätowierungen, teilweise mit dümmsten Motiven, unästhetisch und abstoßend und dazu dumm, denn die Haut wird sich rächen mit den Jahren. Die aktuelle Freundin auf dem Arm — wie dumm ist das denn, wahrscheinlich wird ja Jenny doch bald durch Annika ersetzt!

Zurück nach Ungarn!

Es hat sich politisch viel getan dort. Auch der Westungarn-Reisende kann es gut merken. Orban lässt eine Besichtigung des Parlaments in Budapest aus der Nähe nicht mehr zu. Er baut sich in Buda im Burgviertel einen Protzbau, der ihn wohl wie einen König aussehen lassen soll. Seine stinkreichen Freunde kaufen die Immobilien für ihn auf. Ein ganz besonderes Beispiel ist das Hotel Aurora in Balatonalmadi, 20 Geschosse hoch mit einem Traumblick auf den Balaton, im Sozialismus und danach eine Superadresse für die Touristen. Ich habe mehrfach dort gewohnt, zuletzt 2010. Nun hat ein Freund, Orban nennt ihn „Nachbar“, das Hotel gekauft. Es ist aus mit den Touristen, wenigstens mit den durchschnittlichen. Jetzt ist es ein Tempel für die Haute volaute.

Die Ungarn sind politischer geworden. In die 10 Tage unseres Urlaubs fiel die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, dass Ungarn rd. 1.300 (!) Flüchtlinge aufnehmen muss. Wir haben mit unzähligen Menschen diskutiert. Ich schätze, dass die Hälfte Nationalisten sind. Sie verteidigen die Nichtaufnahme von Flüchtlingen. Ungarn könne keine fremden Volksgruppen mehr aufnehmen.

Ungarn ist ein Gemisch von Völkern aus der Habsburger Zeit und auch aus der Zeit davor. Es gibt rd. zwei Dutzend Volksgruppen, auch eine nicht unbeträchtlich große von Deutschen oder Italienern. Die Sinti und Roma sind seit Jahrhunderten in Ungarn, ihre Zahl wurde drastisch verstärkt durch den Diktator Ceaucesu aus Rumänien, der eine Volksvertreibung stattfinden ließ. Auch Orban ist den Sinti und Roma feindlich gesonnen, was in Ungarn gegen diese Volksgruppe stattfindet, müsste an sich Europa auf dne Plan rufen. Aber ……

Dazu sind nach dem Volksaufstand von 1956 viele Ungarn ins Ausland geflohen, vor Jahrhunderten noch mehr vor den Türken im Land.Mit diesen Argumenten des Vielvölkerstaates kann man nationalistischen Ungarn nicht kommen. Sie argumentieren dann, dass sie keine Moslems wollen, weil sie nun mal grundkatholisch seien. Das stimmt nicht, denn nur noch 50 % der Ungarn stehen mittlerweile noch hinter der katholischen Kirche.

Auf einem Flohmarkt habe ich mich mit deutschsprachigen Ungarn gestritten, die doch allen Ernstes behaupteten, die katholische Kirche habe in Ungarn keinen einzigen Missbrauch auf sich geladen. Hört sich an wie seinerzeit die DDR …….

Orban will sogar die Verpartnerung für gleichgeschlechtliche Paare einführen, beileibe nicht aus Überzeugung, aber weil es eine Mehrheit im Land dafür gibt, die in diesem Punkt die katholische Kirche alt aussehen lässt. Bald sind Parlamentswahlen, Orban ist der Opportunist schlechthin, er will noch einmal die absolute Mehrheit und schaut bei allem was er tut, nicht auf Europa, sondern auf die Stimmung im Land. Die andere Hälfte der Ungarn kritisiert Orban, ist nicht mit seiner Politik und nicht mit seiner Selbstbereicherung einverstanden. Insofern – es ist nicht leicht einzuschätzen – glaube ich, das Orban die Wahlen gewinnt, aber koalieren muss.

Fazit des Vergleichs nach fünf Jahren:

Ungarn ist und bleibt ein liebenswürdiges Land, sauber und sehr schön mit bester Küche und herrlichem Wohnen in Hotels, Ferienwohnungen, Pensionen und privat. Es ist ein Kinderparadies und man sollte wissen, dass man im Sommer beileibe nicht allein ist und dass einen stets 35 bis 40 Grad erwarten. Die schönste Reisezeit sind der Mai und der September, beide auch mit noch günstigeren Außer-Saison-Preisen. Der Winter vor allem in Westungarn, aber auch sonst im Land, ist streng und meist schneereich. Der Balaton friert zu, obwohl er noch 60 qm/km größer ist als der Bodensee. Gastronomie gibt’s spärlich in der Zeit, Zimmer schon und Ausflüge und Wintersport auf dem See sowieso.

Um Ihnen Ungarn ein wenig schmackhaft zu machen, finden Sie ein paar schöne Schnappschüsse aus dem herrlichen Land.

Beachten Sie die Speisen und das kleine Herend-Service, das Prinz William und Kate von der Manfactur Herend zur Hochzeit geschenkt bekommen haben und das bei jeder Geburt eines Kindes des Paares ergänzt wird. Das Service reicht schon für viel Besuch, aber bei der Zeugungsfreude des Paares wird wohl noch einiges dazu kommen ……

1 Kommentar

  1. E.Stricker

    Ich komme gerade aus Russland und fand dort genau die oben beschriebene Situation vor. St. Petersburg und seine Paläste in der Umgebung strotzen vor Pracht. Auch hier haben sich wenige mit den Privatisierungen in den 1990er Jahren dick und fett gemacht. Gehört doch dem Oligarchen Abramovitsch fast die komplette Halbinsel Kamtschatka. Doch Russlands Bevölkerung ist gespalten. Jede Generation vertritt andere Ansichten. Die Rentner finden das Symstem gut, hat doch Putin die Renten und vor allem die Hinterbliebenenversorgung verbessert. Die Generation 40+ hat Angst, beklagen Unsicherheiten und eingeschränkte Meinungsfreiheit, Demonstrationsverbot etc. Und die junge Generation kann sich überhaupt nicht einscheiden. Russland ist und bleibt ein Pulverfaß. Schade um dieses schöne Land.

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